Diagnosestellung

Distalbiß

Hier stehen die oberen Schneidezähne vor; häufig tritt zusätzlich ein tiefer Biß auf, weil die unteren Schneidezähne zunächst keine Abstützung haben und dann hochwachsen, bis sie an der Gaumenschleimhaut anstoßen.

Mesialbiß

Hier stehen die unteren Schneidezähne zu weit vor; Ursache ist ein stark vorgewachsener Unterkiefer (echte Progenie) oder ein im Wachstum zurückgebliebener Oberkiefer (Pseudoprogenie). Im gezeigten Fall liegt ein zu groß gewachsener Unterkiefer vor in Verbindung mit einem offenen Biß, gestörter Zungenfunktion und Lispeln.

Seitlicher Kreuzbiß

Der Oberkiefer ist zu schmal im Verhältnis zum Unterkiefer.

Engstand

Es haben nicht alle Zähne im Zahnbogen Platz. Die Zähne stehen verschachtelt.Typisch sind im Oberkiefer hoch und außerhalb des Zahnbogens durchbrechende Eckzähne.

Lückenstände

Die Zähne sind im Verhältnis zum Kiefer zu schmal.

Nichtanlage von Zähnen

Im nebenstehenden Beispiel hat die Natur einfach zwei bleibende seitliche obere Schneidezähne vergessen; auf der linken Patientenseite steht noch der Milchschneidezahn.

Zahnüberzahl

Das Gegenteil von Nichtanlagen, die Zahnüberzahl, ist auf diesem Bild zu sehen; wer genau hinsieht, kann erkennen, daß dieser Patient fünf untere Schneidezähne hat.

Verlagerte Zähne

Hier ein Vorgriff auf die behandlungstechnischen Möglichkeiten; das Bild zeigt, wie ein gaumenwärts verlagerter Eckzahn nach chirurgischer Freilegung in den Zahnbogen eingeordnet werden kann.

Man kann unterscheiden zwischen genetischen und umweltbedingten Einflüssen. Erstere sind für bestimmte Fehlstellungen eindeutiger nachgewiesen als für andere; am stärksten ist der Erbeinfluß bei der echten Progenie (stark vorgewachsener Unterkiefer, s.o.). Bekanntestes historisches Beispiel ist die Herrscherfamilie der Habsburger, vor allem die spanische Linie ("Habsburger Unterlippe", im Bild Karl V.).

An Umwelteinflüssen kommen in erster Linie vorzeitiger Milchzahnverlust durch Karies in Betracht (die Milchbackenzähne können ihre Platzhalterfunktion für die Nachfolgezähne nicht mehr wahrnehmen und es kommt zu Platzverlust), sowie schlechte Angewohnheiten (allen voran das Daumenlutschen). Die nebenstehende Abbildung zeigt einen sogenannten "lutschoffenen Biß". Auch eine behinderte Nasenatmung kann der Entstehung eines offenen Bisses im Schneidezahnbereich und eines seitlichen Kreuzbisses Vorschub leisten.

Erster Ansprechpartner bei der Feststellung eines möglichen kieferorthopädischen Behandlungsbedarfs ist in der Regel der Zahnarzt, manchmal auch der Schulzahnarzt. Zuweilen kommt es auch vor, daß man von Menschen aus dem persönlichen Umfeld angesprochen wird; in all diesen Fällen wäre ein Besuch beim Kieferorthopäden anzuraten. Grundsätzlich ist es besser, sich ihm früher vorzustellen als zu spät - siehe "vorbeugende Kieferorthopädie". Der Kieferorthopäde kann dann feststellen, ob überhaupt Behandlungsbedarf besteht und, wenn ja, zu welchem Zeitpunkt mit der Behandlung begonnen werden sollte.

Ziel der kieferorthopädischen Behandlung ist nicht die Erzeugung von Einheitsgebissen, sondern das sogenannte "individuelle therapeutische Optimum", daß heißt das bestmögliche im jeweiligen Fall erreichbare Behandlungsergebnis. Dieses im Einzelfall zu definieren und zudem festzulegen, wie es erreicht werden soll, ist Ziel der kieferorthopädischen Behandlungsplanung.

Zur eingehenden Diagnostik gehört ein Übersichtsröntgenbild, anhand dessen die Gebißentwicklung beurteilt werden kann.

Für spezielle Fragestellungen, z.B. bei stark verlagerten Zähnen, können auch dreidimensionale Darstellungen mittels der Digitalen Volumentomographie (DVT) für eine genauere Lagebestimmung des Zahns herangezogen werden.

Ein weiteres Röntgenbild zeigt den Schädel von der Seite (auf dem Foto auf dem Computerbildschirm zu sehen); letzteres erlaubt nach Vermessung eine genauere Einschätzung des Kieferwachstums. Ferner werden Gipsmodelle der Kiefer ausgewertet, sowie Fotos von Zähnen und Gesicht.

Das nebenstehende Bild gibt einen Eindruck von der Komplexität der Gebißentwicklung. Eine genaue Kenntnis dieser Abläufe ist die Voraussetzung für eine fundierte kieferorthopädische Diagnostik.

Dieses Bild zeigt nahezu einen Idealbefund, der bei einer kieferorthopädischen Behandlung wenn möglich angestrebt wird. Die Schneidezähne stehen leicht nach vorne geneigt, die oberen Schneidezähne beißen etwas vor und über die unteren, so daß obere und untere Schneidezähne sich noch berühren. Die Seitenzahnreihen greifen wie zwei Zahnräder genau ineinander, so daß die Zahnbögen wie Schlüssel und Schloß zueinander passen.

Als Alternative zu herkömmlichen Abformtechniken mit Abdruckmasse hat sich bei uns als elegante, digitale Alternative der Intraoralscanner etabliert. Das Verfahren ist schnell, präzise und für den Patienten angenehmer; Würgereiz gehört der Vergangenheit an.